Aktuelles Urteil vom Kammergericht Berlin: Eine drohende Insolvenz ist keine „Existenzgefährdung“!
Der bloße Umstand einer im Fall der Räumung zu erwartenden Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer juristischen Person als Mieterin von Gewerberäumen genügt nicht, um dem Vermieter nach § 242 BGB eine Berufung auf einen Schriftformmangel i.S.v. § 550 BGB unter dem Gesichtspunkt einer „Existenzgefährdung“ zu versagen (KG, Urteil vom 07.11.2022 – 8 U 157/21).
Liegt im Rahmen eines Mietvertrages ein Schriftformmangel vor, so gilt der Mietvertrag nach § 550 BGB als für unbestimmte Zeit geschlossen und kann mit gesetzlicher Frist ordentlich gekündigt werden. Grundsätzlich kann die Existenzgefährdung einer Partei der auf einen Schriftformmangel gestützten Kündigung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegenstehen. Die Voraussetzungen hierfür werden jedoch regelmäßig verneint. So auch in dem entschiedenen Fall.
Zwischen den Parteien wurde schriftlich ein Mietvertrag über Gewerberäume geschlossen. Mieterin war eine GmbH. Die Vermieterin kündigte unter Berufung auf einen Schriftformmangel. Dagegen klagte die Mieterin. Es läge kein Schriftformmangel vor. Jedenfalls aber sei die Berufung auf eine Kündbarkeit wegen Formmangels treuwidrig. Aufgrund der kündigungsbedingten kurzfristigen Räumung würde die GmbH in derartige wirtschaftliche Bedrängnis geraten, dass eine Insolvenzeröffnung drohte. Die GmbH würde insoweit in ihrer Existenz gefährdet.
Das KG bejahte den Schriftformmangel. Der Einrede der Mieterin aus § 242 BGB wurde nicht gefolgt. Zwar stelle eine Existenzgefährdung einen möglichen Fall der Treuwidrigkeit dar. Allerdings lägen die hieran zu knüpfenden Voraussetzungen nicht vor. Es bedürfe eines schlechthin untragbaren Ergebnisses, welches über die regelmäßigen Folgen einer Kündigung hinausgehe. Dabei könne Bezugspunkt der Existenzgefährdung stets nur eine natürliche Person sein. Die GmbH als solche könne sich auf eine Gefährdung ihrer Existenz nicht berufen. Dieses Recht stehe allenfalls den hinter der GmbH stehenden Gesellschaftern als natürlichen Personen zu. Insoweit genüge eine drohende Insolvenzeröffnung einer Kapitalgesellschaft nicht, um eine für die Einrede aus § 242 BGB erforderliche gewichtige Existenzgefährdung zu begründen. Andernfalls bestünde die Möglichkeit der wirtschaftlich Berechtigten durch geschickte Wahl der Unternehmensform und der Kapitalausstattung in einer Art und Weise die Bejahung des § 242 BGB zulasten der Vermieter zu steuern, die unbillig erscheine.
Dr. Christoph Klose
Aktuelles Urteil des OLG München zur Reichweite von Schiedsvereinbarungen am Beispiel eines Darlehensvertrags – auf sorgfältige Formulierung der Schiedsvereinbarung ist zu achten!
Dr. iur. Fernando Ortega, LL. M., Abogado (Kolumbien), Vertrags- und Portfolioriskmanager eines bekannten Spezialfonds-Anbieters in Frankfurt/Main und unser Partner Johannes Pitsch, haben in der Ausgabe April 2022 des Juris-Praxisreports Bank- und Kapitalmarktrecht einen Beitrag zu einem aktuellen Urteil des OLG München veröffentlicht (Urteil vom 27.10.2021 – 20 U 301/21).
Ihr Beitrag erläutert die Grenzen der Reichweite einer Schiedsvereinbarung am Beispiel eines Darlehensvertrags und gibt praktische Tipps, wie eine Schiedsvereinbarung so formuliert wird, dass sie dem Willen der Parteien, etwaige Streitigkeiten ausschließlich und endgültig einem Schiedsgericht anzuvertrauen, effektiv Rechnung trägt. Dabei ist zu empfehlen, die Musterklauseln der anerkannten Schiedsinstitutionen wie der DIS und die ICC stets als Ausgangspunkt zu verwenden und mit etwaigen Änderungen eher sparsam umzugehen. Durch sorgfältig formulierte Vereinbarungen hinsichtlich der zuständigen (Schieds-)Gerichte können die Parteien gerade bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen sicherstellen, dass sie im Streitfall effektiven Rechtsschutz erhalten.
Den Artikel im Volltext finden Sie hier
Gerne stehen wir Ihnen für weiterführende Auskünfte zur Verfügung.
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Mindestsätze der HOAI dürfen zwischen Privatpersonen weiter angewendet werden!
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 18.01.2022 entschieden, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich Privatpersonen gegenüber stehen, nicht aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieure festsetzt. Die HOAI enthielt bis zu ihrer Fassung 2013 einen verbindlichen Preisrahmen aus Mindest- und Höchstsatz, der ein gesetzliches Verbot darstellte. Außerhalb dieses Rahmens liegende Vergütungsvereinbarungen waren nichtig und wurden durch den objektiv zu treffenden Mindestsatz (bei Unterschreitung) oder Höchstsatz (bei Überschreitung) der HOAI ersetzt. Mit einem Urteil aus dem Jahr 2019 hatte der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die entsprechenden Regelungen der HOAI 2013 gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Daraufhin hat der Verordnungsgeber mit der HOAI 2021 den verbindlichen Preisrahmen für alle ab dem 01.01.2021 geschlossenen Verträge abgeschafft. Höchst umstritten war aber die Frage, ob das bis dahin geltende zwingende Preisrecht nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie am 28.12.2009 oder dem EUGH-Urteil vom 14.07.2019 weiter angewendet werden durfte. Der Bundesgerichtshof hatte in einem sog. Aufstockungsfall (der klagende Ingenieur macht den über der vereinbarten Vergütung liegenden Mindestsatz der HOAI 2013 geltend) dem Europäischen Gerichtshof diesen Streit zur Entscheidung vorgelegt. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass Adressat einer Richtlinie nur der Mitgliedstaat, der das nationale Recht entsprechend anzupassen habe, sei, nicht jedoch der Einzelne, dem durch eine Richtlinie keine Verpflichtung auferlegt werden könne. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Bundesgerichtshof nunmehr dem Ingenieur den Mindestsatz zusprechen wird. Diese Entscheidung wird bei einer Vielzahl von derzeit ruhend gestellten oder aufgrund der unklaren Rechtslage noch nicht erhobenen Aufstockungsklagen zu beachten sein.
Gewerbliche Mieter und Vermieter haben lange darauf gewartet, endlich ist es da: Das erste Urteil des Bundesgerichtshofs zur Frage der Mietzahlungspflicht im Rahmen des pandemiebedingten „Lockdown“ im Frühjahr 2020 (Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21).
Mieter und Vermieter von Gewerbeobjekten in unserer Beratung hatten während der vergangenen zwei Jahre viele Fragen: Darf die Miete gemindert oder sonst reduziert werden, wenn das Hotel, Restaurant oder Einzelhandelsgeschäft geschlossen werden muss? Darf der Mieter auch für die Zeit nach der Schließung, in der aber dennoch weniger Umsatz erzielt wird, die Miete herabsetzen? Kommt es darauf an, ob an dem jeweiligen Standort Verluste gemacht werden oder ob es der gesamten Gruppe, mehreren Standorten schlecht geht? Ist es vielleicht sogar erforderlich, dass das Unternehmen des Mieters in einer existenzgefährdenden Lage ist? Muss der Mieter Staatshilfen und Versicherungsleistungen bei der Darstellung seiner Umsatzeinbußen berücksichtigen? Wie hoch kann eine Minderung überhaupt ausfallen?
Gemeinsam mit unseren Mandanten haben wir versucht, vernünftige Antworten auf die Fragen zu finden, es war jedoch klar: Erst wenn der BGH sich zu diesen Fragen äußert, kann es größere rechtliche Sicherheit geben.
Die bereits viel zitierte Grundsatzaussage des BGH im Urteil ist dabei gar keine wirkliche Neuigkeit: Dass jeder gerichtlich anhängige Fall gesondert betrachtet werden muss und sich pauschale Urteile verbieten, ist eigentlich „tägliches Brot“ der Gerichte und eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Zu dieser Aussage wurde der BGH deshalb gedrängt, weil die Vorinstanz (OLG Dresden) tatsächlich eine pauschale Lösung zur Verteilung des Risikos zwischen Verpächter und Pächter im Sinne von „50%/50%“ in Erwägung gezogen hatte und gerade keine Einzelfallbetrachtung angestellt hatte.
Auf ein paar der oben zitierten Fragen bietet der BGH mit dem hiesigen Urteil jetzt auch Antworten:
- Eine Herabsetzung der Miete nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist möglich, andere Minderungsgründe wie ein Sachmangel scheiden aus.
- Es kommt auf die Frage der Unzumutbarkeit des Festhaltens an den Konditionen an.
- Eine Existenzgefährdung des Unternehmens für die Anwendung des rechtlichen Grundsatzes „Wegfalls der Geschäftsgrundlag“ insgesamt ist nicht erforderlich.
- Es kommt auf die Betrachtung des einzelnen Standortes, der einzelnen Filiale an, eine Konzernbetrachtung ist nicht vorzunehmen.
- Staatshilfen und Versicherungsleistungen sind bei der Frage der Umsatzeinbußen zu berücksichtigen.
- Der BGH hat verdeutlicht, inwiefern der Mieter und inwiefern der Vermieter die Beweislast in Bezug auf die Kausalität der Corona-Pandemie für die wirtschaftlichen Auswirkungen im Rahmen einer vom Mieter begehrten Anpassung des Mietzinses tragen.
Mit diesen Richtlinien ausgestattet wird es uns leichter fallen, die Erfolgsaussichten von gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Vermieter und Mieter einzuschätzen. Auch für die Vertragsgestaltung neu abzuschließender Miet- und Pachtverträge gibt das BGH-Urteil wichtige Anhaltspunkte.
Sprechen Sie uns gern an.